Klipp-klipp, klipp-klipp, hauchfeine Sicheln aus Keratin fallen auf den Tisch. Der Schriftsteller pustet sie weg, dann hebt er den Blick zur Decke, als ob ihm ein Einfall gekommen wäre, horcht ein paar Sekunden lang den Synapsen-Dschungel seines Oberstübchens ab, schüttelt den Kopf und wendet sich wieder seinen Fingernägeln zu. Klipp-klipp, klipp-klipp. Erneut rieselt der Hornabfall, in den Pupillen des Schriftstellers spiegeln sich die wandernden Blasen des Bildschirmschoners. Nichtstun ist das Kreuz, das mir in dieser Welt auferlegt ist, denkt er gequält lächelnd, ich trage sie mit Stolz und Würde. Klipp-klipp, klipp-klipp.
Vor dem Fenster jagen sich laut keifend zwei Möwen. Die vordere trägt ein Stück Brot im Schnabel, die hintere möchte das offenbar ändern. Die vordere Möwe versucht es mit jähem Sturzflug und Wegtrudeln, die hintere lacht sich eins und trudelt elegant mit. So geht das auf und ab, hin und her, Schwung um Schwung, und keine trägt den Sieg davon. Eine Windbö greift mit entschlossener Hand in die Krone einer Silberweide, die Sonne blinzelt kurz durchs Laubdickicht, ein Mensch geht mit klackenden Sohlen vorbei.
Der Schriftsteller kratzt sich am Kinn und denkt: Nichtstun ist, was die anderen von uns erwarten. Was bleibt uns anderes übrig, als die Erwartung zu erfüllen? Nichts. Und wie erfüllt man Erwartungen? Ganz einfach, indem man vom Erfüllen der Erwartung spricht. Also schwadronieren wir Schriftsteller an jedem verdammten Stehdinner, an jeder organisierten Sauferei von unserem ausschweifenden Nichtstun. Und das Publikum nickt zufrieden.
Klipp-klipp, klipp-klipp. Die Möwen kommen in einem neuen Bogen heran. Die vordere trägt noch immer ihr Brotstück im Schnabel und lacht siegesgewiss nach hinten, die hintere lacht zurück und startet einen neuen Angriff. Auch die Gedanken im Kopf des Schriftstellers machen einen neuen Bogen. Der Bogen heißt: Quatsch, Quatsch, Quatsch! Natürlich ist das mit dem Nichtstun absoluter Blödsinn. Das Tun der Schriftsteller ist, und hier zitieren wir den dänischen Kollegen Jørgen Leth, vielmehr ein Nichts-in-etwas-verwandeln.
Der Schriftsteller lächelt mit einem Mal ganz selig, hebt erneut den Blick und pflückt Worte von einem unsichtbaren Baum der Erkenntnis. Nichts in etwas, flüstert er. Steine zu Brot. Stroh zu Gold. Aber ja, so ist es doch! Pure Magie. Doch weil solches Abrakadabra in der heutigen Zeit ganz und gar unbotmäßig ist, reden wir Verbaldrechsler weiter lustig von unserem Nichtstun. Wir haben keine Wahl.
Er schmeißt den Nagelknipser hin, kratzt sich am Kopf, trommelt mit den Fingern auf die Tischplatte, kratzt sich erneut am Kopf, trommelt wieder, und der Zuschauer fragt sich: Ist das so etwas wie ein Ritual? Hat das etwas mit dem Nichts-in-etwas-Verwandeln von diesem Dänen zu tun? Wohnen wir hier einer Zeremonie bei, sind wir gerade Zeugen eines unerhörten, ganz und gar unbotmäßigen Vorgangs?
Stille. Erneutes Nachdenken. Eine Minute, zwei, drei. Als der Computer sich mit einem schläfrigen Seufzer ausschaltet, bläst der Schriftsteller in den Haufen von Nagelsicheln, klatscht in die Hände und sagt: »So, jetzt aber an die Arbeit.« Er steht auf, packt die Jacke und eilt zur Tür. Durchs Fenster sieht der Zuschauer, wie der Schriftsteller sich in nölig langsamen Schritten entfernt. Er denkt: Was soll das denn jetzt? Wieder ein Ritual? Weiß dieser sogenannte Schriftsteller überhaupt, was in seinem verflixten Oberstübchen abläuft? Tut er etwas? Tut er nichts?
Der Schriftsteller geht über den Kiesweg zum See. Eine Möwe steht auf einem Geländer und lässt ihn an sich vorübergehen. Der Zuschauer blickt ihm nach und schüttelt den Kopf. Dann macht sein Zeigefinger an der Maus »Klick«. Und weg sind wir.
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