Der Schriftsteller kriegt eins ab

Der Schriftsteller in der Kundendienst-Schlange. Gestern zu kleine Batterien gekauft, AAA statt AA, zum Glück hat er es noch bemerkt, bevor die Verpackung offen war. Direkt vor ihm eine Frau mittleren Alters. Halber Kopf kleiner als er, grüne Lederjacke, schwarze Jeans, braunes Haar. Wie hibbelig sie ist! Unablässig in ihrer riesigen Handtasche wuselnd, sich alle paar Sekunden Haare aus dem Gesicht werfend, dazu wechselt sie ständig das Standbein. Als sie kurz zur Seite schaut und er ihr Profil erblickt, weiß er, dass er sie nicht zum ersten Mal sieht. Aber woher kennt er sie? Von einer früheren Arbeit? Von dieser kuriosen Tai-Chi-Gruppe, bei der er mal kurz mitmachte? Von einer Lesung? Nein, stimmt nicht, jetzt fällt es ihm ein, das ist, aber ja doch, das muss, ach, nein, Blödsinn, das kann ja gar nicht sein, das ist schlicht nicht möglich. Und trotzdem kommt es ihm vor, als ob das niemand anders als sie sein kann.

 

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Der Schriftsteller taucht ab

Erst die Zehenspitzenprobe. Na, gar nicht so schlimm, denkt der Schriftsteller und schaut sich um. Da braten die alle fröhlich an der Sonne, aber wenn’s drum geht, sich ein bisschen fit zu halten, tun sie, als seien wir an der Barentssee. Er stellt sich auf die erste Stufe und lässt die Füße sich an die Temperatur des Wassers gewöhnen. Noch eine Stufe tiefer. Und noch eine. Dann holt er Luft und gleitet ins Wasser. Puh!

 

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Der Schriftsteller versucht zu schlafen

Links von ihm der warme Rücken seiner Frau, rechts die Wand, oben irritierendes Halbdunkel. Der Schriftsteller seufzt und schließt die Augen. Und nun? Welches Szenario soll es heute sein? Jeden Abend die gleiche Frage, die Verzweiflung darin manchmal stärker, manchmal schwächer, aber immer vorhanden. Er braucht nun mal ein Szenario zum Einschlafen, anders geht es nicht. Ein Bildergebäude, durch das er im besten Fall flink-flott ins Reich des Schlafs hinüberklettert. Im schlechtesten Fall bleibt er stundenlang darin gefangen, besser gesagt, in seiner eigenen, stetig anwachsenden Irrlust, er klettert im Kreis herum, immer und immer wieder, und der Zweck des Szenarios hat sich längst in sein Gegenteil gewendet: Es wird zum Aufwachszenario.

 

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Der Schriftsteller bestellt einen Kaffee

Die Kaffeemaschine hinter ihm faucht schon wieder, der Schriftsteller verdreht die Augen. Damals, als Latte Macchiato noch ein Fremdwort war, galten Cafés als Oasen der Ruhe. Lang ist’s her. Er stößt die Tür auf, tritt nach draußen, das Fauchen hinter ihm wird leiser. Er setzt sich an den erstbesten Tisch. Tütchen Zucker in den Kaffee und umgerührt. Schön hier draußen, denkt er. Hier die alte Wackelveranda, dort der See, was will man mehr. Er hebt die Tasse an den Mund und schlürft Bitterheißes.

 

Dann wendet er seinen Blick zum Fußweg bei der Hecke. Gleich ist es so weit. Gleich kommt er. Ruhigen, aber auch zielstrebigen Schritts wird er sich zur Schiffanlegestelle begeben, in der Hand wie schon am Vortag die Tüte mit den Brotresten. Der Anzug hechtgrau, der Mantel darüber dunkelblau, das fast weiße Haar streng bürgerlich seitengescheitelt. Er wird sich ans Geländer des Piers stellen, die Tüte an ihrem unteren Ende packen und die Brotresten ins Wasser fallen lassen. Kurz wird er den Enten, Blässhühnern und Möwen zuschauen, die sich über das Fressen hermachen. Dann wird er zum vorderen Rand des Piers gehen, seinen Blick über den See schweifen lassen, ein paar Atemzüge frische Luft tanken, zehn Sekunden lang, zwanzig, nicht mehr. Dann kehrtum, die Tüte in den Mülleimer geworfen und zurück ins Auto, das er am Anfang des Fußwegs geparkt hat.

 

Er. Der Mann im Anzug. Der Brotkrümelmann.

 

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Der Schriftsteller tut nichts

Klipp-klipp, klipp-klipp, hauchfeine Sicheln aus Keratin fallen auf den Tisch. Der Schriftsteller pustet sie weg, dann hebt er den Blick zur Decke, als ob ihm ein Einfall gekommen wäre, horcht ein paar Sekunden lang den Synapsen-Dschungel seines Oberstübchens ab, schüttelt den Kopf und wendet sich wieder seinen Fingernägeln zu. Klipp-klipp, klipp-klipp. Erneut rieselt der Hornabfall, in den Pupillen des Schriftstellers spiegeln sich die wandernden Blasen des Bildschirmschoners. Nichtstun ist das Kreuz, das mir in dieser Welt auferlegt ist, denkt er gequält lächelnd, ich trage sie mit Stolz und Würde. Klipp-klipp, klipp-klipp.

 

Vor dem Fenster jagen sich laut keifend zwei Möwen. Die vordere trägt ein Stück Brot im Schnabel, die hintere möchte das offenbar ändern. Die vordere Möwe versucht es mit jähem Sturzflug und Wegtrudeln, die hintere lacht sich eins und trudelt elegant mit. So geht das auf und ab, hin und her, Schwung um Schwung, und keine trägt den Sieg davon. Eine Windbö greift mit entschlossener Hand in die Krone einer Silberweide, die Sonne blinzelt kurz durchs Laubdickicht, ein Mensch geht mit klackenden Sohlen vorbei.

 

Der Schriftsteller kratzt sich am Kinn und denkt: Nichtstun ist, was die anderen von uns erwarten. Was bleibt uns anderes übrig, als die Erwartung zu erfüllen? Nichts. Und wie erfüllt man Erwartungen? Ganz einfach, indem man vom Erfüllen der Erwartung spricht. Also schwadronieren wir Schriftsteller an jedem verdammten Stehdinner, an jeder organisierten Sauferei von unserem ausschweifenden Nichtstun. Und das Publikum nickt zufrieden.

 

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